Karte 1803
Johann Gottlieb Fichte als Berliner Landsturmmann 1813 Johann Gottlieb Fichte

Johann Gottlieb Fichte

geboren19.5.1762 in Rammenau/Oberlausitz

gestorben29.1.1814 in Berlin

Philosoph, Wissenschaftler, Hochschullehrer

Johann Gottlieb Fichte wurde in die ärmlichen Verhältnisse einer kinderreichen Leinenweberfamilie geboren und verbrachte einen großen Teil seiner Kindheit an den Rammenauer Teichen mit Gänsehüten, wenn er nicht in der elterlichen Bandwirkerei mithelfen musste. Im Jahre 1771 wurde Freiherr Friedrich Ernst Haubold von Miltitz bei einem Besuch in Rammenau Zeuge eines Predigtspieles der Kinder des Ortes, in dem ihm die rhetorische Begabung und Intelligenz des kleinen "Predigers" Johann Gottlieb auffiel. Er gab ihn dem kinderlosen Pfarrerehepaar von Niederau bei Meißen zur Erziehung und ermöglichte ihm den Besuch der Stadtschule in Meißen und ab 1774 der Fürstenschule in Naumburg, wo Johann Gottlieb 1780 abschloss. Zum Unglück des Knaben starb sein Mäzen jedoch bereits 1774, und dessen Familie verringerte in den Folgejahren stetig die Zahlungen für seine Ausbildung, die sie mit Schulende ganz einstellten. Fichte begann sein Theologiestudium 1780 zunächst in Jena und wechselte ein Jahr später nach Leipzig. War er schon im Gymnasium durch seine Armut benachteiligt gewesen, so zwang ihn seine wirtschaftliche Not während des Studiums zu umfangreichen Nebentätigkeiten als Hauslehrer, die keine Gelegenheit für einen ordentlichen Abschluss ließen. Ohne Beruf, ohne Geld, erschien ihm 1788 seine existenzielle Lage so aussichtslos, dass er daran dachte, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er nahm dann eine Hauslehrerstelle in Zürich an. In der Schweiz wurde er freundlich behandelt, erholte sich von den strapaziösen Studienjahren und lernte Marie Johanne Rahn, seine zukünftige Frau, kennen.

Im Frühjahr 1790 verließ er Zürich und trat eine Hauslehrerstelle in Leipzig an. Als die Anfrage kam, einen Studenten in Kants „Kritik der reinen Vernunft“ einzuführen, musste er sich erst selbst in das ihm unbekannte Werk einarbeiten, das ihn zutiefst beeindruckte. Um sich Kant zu empfehlen, schrieb er in wenigen Wochen den „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“, in dem er bereits einige religionsphilosophische Konsequenzen der Kantischen Philosophie vorwegnahm. Deswegen (und wegen der durch die Kantlektüre sehr beeinflussten Diktion) wurde die Schrift, die Immanuel Kant Ostern 1792 anonym und ohne das Vorwort des Verfassers herausgeben ließ, zunächst für ein Werk Kants gehalten. Kant nannte den Verfasser und machte Fichte auf diese Weise schlagartig berühmt. Schon im folgenden Jahr erschien eine neue Auflage der Schrift.
Fichte, der inzwischen eine Hauslehrerstelle in Westpreußen bei Graf von Krockow angetreten hatte, konnte diese aufgeben und im März 1793 nach Zürich zurückgehen, heiraten und sich die nächsten Monate im Haus der Schwiegereltern dem Schreiben widmen. Mit Blick auf Frankreich entstanden die beiden Schriften „Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europas, die sie bisher unterdrückten. Eine Rede“ (anonym, Danzig 1793) und „Beiträge zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution“ (1793).

Es ist dieser Text, in dem Fichte sich als Mitbegründer des modernen Antisemitismus manifestiert: Er distanziert sich von jedem Judenhass. Er wähnt seine Ablehnung "rational". Er spricht sich für die Menschenrechte der Juden aus. "Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuscheiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein ander Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken.“. Diese Formulierungen wurden immer wieder im nationalistischen und später im natioanlsozialistischen Kontext, bis ins „Dritte Reich“, aufgenommen.

Er war erst noch dabei, für sich das eine Grundprinzip herauszuarbeiten, auf dem die Philosophie als systematische Einheit beruhen sollte, als ihn bereits ein Ruf nach Jena, veranlasst durch Goethe, erreichte.
1794 übersiedelte er nach Jena und begann, nachdem man ihm formal den Magister bescheinigt hatte, seine Vorlesungen zu halten, die von Beginn an ein lebhaftes Publikumsinteresse fanden, obwohl seine Ausführung sich auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau bewegten. Er brach dabei mit der Tradition insofern, als er sich nicht auf ein Kompendium stützte, sondern seine eigene Philosophie vortrug, wobei sich auch hier die schon aus seiner Kinderzeit bekannte rhetorische Begabung zeigte. Als Handschrift für seine Zuhörer gab er noch im selben Jahr die „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ heraus. Er meinte, darin nur das Programm auszuführen, das Kant in seiner Vernunftkritik vorgezeichnet hatte, doch ging der Entwurf darüber hinaus und war die erste systematisch geschlossene Darstellung des Idealismus. Indem Fichte als Grundprinzip allen Philosophierens ein „absolutes Ich“ annahm, aus dem sowohl das erkennende Ich als auch das zu Erkennende, die objektive Welt, folgte, schien er einer Emanzipation des genialen Individuums das Wort zu reden, und seine Popularität im Kreis der Romantiker beruhte zum Teil auf diesem Missverständnis. Fichte, der sich im Anschluss an die erkenntnistheoretische um eine ethische Letztbegründung bemühte, ließ 1798 das „System der Sittenlehre“ und 1799 die „Grundlage des Naturrechts“ folgen.

1799 fand seine Karriere in Jena ein plötzliches Ende im „Atheismusstreit“, der im Jahr zuvor mit dem Aufsatz eines ehemaligen Hörers in dem von Fichte mit herausgegebenen „Philosophischen Journal“ begonnen hatte, in dem der Verfasser Fichtes Atheismus nachzuweisen suchte. Fichte, der sich in mehreren Publikationen zur Wehr setzte, überzeugte die Regierung nicht, sah sich stattdessen der Zensur und einem gegen ihn eröffneten Verfahren ausgeliefert, drohte mit seinem Weggang und wurde, nachdem sich auch Goethe gegen ihn gewandt hatte, im März 1799 entlassen.

Er erhielt Hilfe vor allem von Friedrich Schlegel, der ihn zwar nach Berlin holen, ihm aber keine Stelle verschaffen konnte. Doch machte er ihn mit seinem Bruder August Wilhelm, mit Schleiermacher, Schelling und anderen Freunden aus dem Romantikerkreis bekannt. Die Berliner Akademie der Wissenschaften lehnte seine Aufnahme ab. Fichte, seit 1794 Mitglied der Freimaurer, versuchte, die Berliner Loge für sich zu gewinnen, scheiterte aber. Seine 1800 erschienenen Schriften „Die Bestimmung des Menschen“ und „Der geschlossene Handelsstaat“ fanden kaum Beachtung. Im Sommer 1805 besserte sich seine Situation etwas, als er im preußischen Auftrag Vorlesungen in Erlangen hielt.

Nach 1806 wird Fichtes Leben bis zu seinem Ende bestimmt sein vom Kampf gegen Napoleon, in dem er den Verräter an der großen Sache der Revolution von 1789 sieht. Er bietet sich als Feldgeistlicher an, wird aber nicht genommen. Er verfasst mehrere Aufrufe, um den preußischen König zum patriotischen Widerstand zu ermutigen, die durch die Zensur gestoppt werden. Er folgt der nach Königsberg geflohenen Regierung und wird im Dezember 1806 der dortigen Universität als ordentlicher Professor beigeordnet. 1807 muss er selbst vor den Franzosen nach Memel und weiter nach Kopenhagen ausweichen, kehrt aber im selben Jahr nach Berlin zurück. In seiner vom Ministerium erbetenen Denkschrift für die in Berlin zu errichtende Universität ist der Gedanke einer Nationalerziehung schon sehr deutlich ausgeführt, konnte aber nicht die Zustimmung Wilhelm von Humboldts finden. Mehr Echo hatten seine 1807/08 über Monate hinweg an jedem Sonntagmittag im Rundsaal der Akademie gehaltenen „Reden an die deutsche Nation“, die er auch im Druck erscheinen ließ – unter Duldung der von der französischen Besatzungsmacht eingesetzten Zensurbehörde. Seine mit religiösem Pathos vorgetragenen Entwürfe eines deutschen Nationalstaats gingen allerdings weit über das hinaus, was die Gegner Napoleons wollten, weshalb ihm eine unmittelbare politische Wirkung trotz seiner flammenden Appelle versagt blieb. Die Reden wurden im nationalen und nationalistischen Lager jedoch in der Folge immer wieder aufgegegriffen.

Im Sommer 1808 erkrankte er zum ersten Mal schwer, wovon er sich nie mehr richtig erholte. Nach Gründung der Berliner Universität im Herbst 1810 übernahm er das philosophische Dekanat und wurde ihr erster freigewählter Rektor. Aber, wie schon in Jena, war er auch in Berlin dem universitären Ränkespiel nicht gewachsen und hatte sich bereits nach wenigen Monaten so mit Senat, Ministerium und Studentenschaft überworfen, dass er selbst um seine Entlassung ansuchte, sich ab 1811 auf Vorlesungen beschränkte und weiter an seiner „Wissenschaftslehre“ arbeitete. Nachdem im Februar 1813 die allgemeine Mobilmachung verkündet worden war, schloss er seine Vorlesungen mit einem Aufruf an seine Hörer, die „Wissenschaftslehre“ ganz im Sinne eines patriotischen Widerstands zu lesen und sich den vaterländischen Pflichten nicht zu verweigern. Er bot sich erneut an, im preußischen Hauptquartier als religiöser Redner zu wirken, „um die höhere Ansicht an die Menschen zu bringen, die Kriegsführer in Gott einzutauchen“, doch lehnte die Führung wiederum dankend ab. Er schloss sich dem Landsturm an, dessen Übungen er begeistert mitmachte, auch wenn der nunmehr über 50jährige Professor nach Schilderung von Zeitgenossen dabei eine unübersehbar komische Figur abgab. Zu seinen letzten Vorlesungen im Sommer 1813 erschien er nach Aussagen von Zeitzeugen „bis an die Zähne bewaffnet, zwei Pistolen im breiten Gürtel“. Ende des Jahres 1813 erkrankte zuerst seine Frau, die in den Kriegslazaretten die Verwundeten pflegte, an Typhus, dann er. Seine Frau genas, Johann Gottlieb Fichte starb am 29. Januar 1814 und erlebte den Sieg über Napoleon nicht mehr.

Johann Gottlieb Fichte als Berliner Landsturmmann 1813