Karte 1922

9. November 1918: Kaiser abgedankt und in die Niederlande geflohen

Collage  Das revolutionäre Berlin  Unser Kaiser im Felde  Das Rücktrittsschreiben Wilhelms II. Der "Vorwärts" vom 9. November 1918

AudioFrühjahr 1918: der Krieg ist für das Deutsche Kaiserreich nicht mehr zu gewinnen, Millionen Soldaten sind bereits in blutigen Schlachten gefallen. In dieser Situation wendet sich Hans von Schwerin-Löwitz, der Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses an das deutsche Volk. Für das letzte Aufgebot müssen die alten preußischen Tugenden herhalten:

„Nicht aus den Idealen der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, sondern aus den Idealen Friedrich des Großen, Pflichttreue, Ordnung und Gerechtigkeit ist Preußen und Deutschland die Kraft erwachsen, in diesem Kriegen einer ganzen Welt von Feinden siegreich die Stirn zu bieten. Und nur weil unsere Feinde dies wissen, fordern sie als ihr oberstes Kriegsziel die Ausrottung des preußischen Geistes im deutschen Volke! Gott der Herr gebe, dass dies ihnen niemals gelinge!“

RealVideo mit Katharina ThalbachDer weitere Kriegsverlauf bringt trotz eines Separatfriedens mit Russland keine Wende. Nach der verlorenen Schlacht bei Amiens und dem Kriegseintritt der Amerikaner ist das Schicksal des deutschen Kaiserreiches endgültig besiegelt.

Am 3. November 1918 versucht der preußische Minister Drews Wilhelm II. zur Abdankung zu bewegen. Der preußische König und deutsche Kaiser befürchtet:

„Na also, nun werde ich Ihnen sagen, wie das Chaos aussieht. Ich danke ab. Alle Dynastien stürzen nach, das Heer hat keinen Führer, die Front löst sich auf und flutet über den Rhein. Die Untreuen rotten sich zusammen, hängen, morden, plündern und die Feinde helfen ihnen dabei. Ich denke gar nicht daran abzudanken! Der König von Preußen darf Deutschland nicht untreu werden!“

Doch alle seine Hoffnungen auf einen Fortbestand seiner Herrschaft verlieren sich rasch.

Am 4. November gerät Kiel in die Hände der „Roten Matrosen“.

In der Nacht vom 8. zum 9. November kommt General Hindenburg und die Oberste Heeresleitung unter dem Eindruck der Hiobsbotschaften aus Teilen des Reiches zu dem Ergebnis, dass eine militärische Aktion gegen die Aufständischen unter Führung des Kaisers keine Aussicht auf Erfolg habe.

Die Entscheidung fällt am Vormittag des 9. November in einem kalten Gartensaal eines Hotels im Hauptquartier der Armee in Belgien. Angesichts des düster schweigenden Hindenburg führt der süddeutsche General Wilhelm Groener den entscheidenden Schlag gegen die Monarchie in Preußen und Deutschland:

„Das Heer wird unter seinen Führern und Kommandierenden Generalen in Ruhe und Ordnung in die Heimat zurückmarschieren, aber nicht unter dem Befehl Eurer Majestät, denn es steht nicht mehr hinter Eurer Majestät.“

General Groener lässt über seinen Vorschlag abstimmen. Von den anwesenden 39 Frontoffizieren votieren nur zwei dagegen.

Als am frühen Nachmittag aus Berlin die Meldung der unautorisiert bekannt gegebenen Abdankung zusammen mit weiteren Aufstandsnachrichten eintrifft, verliert man den letzten Rest an Kaltblütigkeit und Überblick. Hindenburg, der Ersatz-Kaiser, gibt das entscheidende Stichwort:

„Ich muss Eure Majestät dringend ersuchen, sofort abzudanken und nach Holland abzureisen. Ich kann es als preußischer General nicht verantworten, dass Sie von Ihren eigenen Truppen verhaftet und der revolutionären Regierung ausgeliefert werden.“

Der „König“ in Wilhelm rät zum Ausharren. Nach erneutem scharfen Drängen Hindenburgs und Groeners gibt der seit über dreißig Jahren herrschende deutsche Kaiser schließlich nach:

„Wenn es denn sein muss! Aber nicht vor morgen früh!“

Am Tag nach der Abdankung des Kaisers schreibt das liberale “ Berliner Tageblatt“:

“Die größte aller Revolutionen hat wie ein plötzlich losbrechender Sturmwind das Kaiserliche Regime mit allem, was oben und unten dazugehörte, gestürzt. Man kann sie die größte aller Revolutionen nennen, weil niemals eine so fest gebaute, mit so soliden Mauern umgebene Bastille so in einem Anlauf genommen worden ist. Es gab noch vor einer Woche einen militärischen und zivilen Verwaltungsapparat, der so verzweigt, so ineinander verfädelt, so tief eingewurzelt war, dass er über den Wechsel der Zeiten hinaus seine Herrschaft gesichert zu haben schien. Durch die Straßen von Berlin jagten die grauen Autos der Offiziere, auf den Plätzen standen wie Säulen der Macht die Schutzleute, eine riesige Militärorganisation schien alles zu umfassen, in den Ämtern und Ministerien thronte eine scheinbar unbesiegbare Bürokratie. Gestern früh war, in Berlin wenigstens, das alles noch da. Gestern nachmittag existierte nichts mehr davon.“