Karte 1803

Kategorischer Imperativ

Mit Friedrich dem Großen stirbt 1786 der aufgeklärte Absolutismus in Preußen und in Frankreich kündigt sich die Revolution von 1789 an. Im Ersten Buch der "Kritik der praktischen Vernunft" von Immanuel Kant, Erstes Hauptstück, § 7 findet sich der Satz: "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." Hier, 1788, wird dieser Satz als "Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft" bezeichnet. Mit geringfügig anderer Formulierung findet man den gleichen Satz unter der Bezeichnung "Kategorischer Imperativ" in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" bereits drei Jahre früher. Die Bezeichnung "Kategorischer Imperativ" hat sich eingebürgert und unter dieser Bezeichnung ist das ethische Grundgesetz Kants auch berühmt geworden. Es ist die oberste und allgemeinste Handlungsanweisung in der praktischen Philosophie Kants, die oft mit der sogenannten "Goldenen Regel" gleichgesetzt wird, der Norm, die sinngemäß in vielen Kulturen anzutreffen ist und z.B. in einem deutschen Reim so lautet: "Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu!". Diese und ähnliche Formulierungen sind Fortschreibungen des "Auge um Auge, Zahn um Zahn" (2.Mose 21, 24), dem ältesten mäßigenden Rechtsprinzip, das dazu auffordert, Gleiches nur mit Gleichem und nicht mit Schlimmerem zu vergelten, und im Neuen Testament eine Modifikation in dem Satz erfährt "Alles, was ihr möchtet, daß es euch die Menschen tun, sollt auch ihr ihnen tun" (Matthäus 7, 12). In der Goldenen Regel soll der Handelnde demnach sein Tun an den positiven oder negativen Folgen ausrichten, die es für ihn selbst in der Rückwirkung haben kann; sie baut auf der Erfahrung auf, daß ein gewisses Maß an Eigenliebe eine gute Ausgangsbasis für die Respektierung der Interessen anderer ist. Bei genauerer Betrachtung meint Kant mit seinem kategorischen Imperativ jedoch etwas anderes. Die oberste subjektive Handlungsanweisung sollte gerade nicht mehr von der egoistischen Betrachtung möglicher Folgen für das eigene Wohlbefinden, sondern als formal-logisches Moralprinzip nur noch vom Wahrheitswert der Verallgemeinerungsfähigkeit abhängig sein. Denn nach Kants Auffassung wird der nach der Goldenen Regel Handelnde Interesse an der Durchsetzung der Wahrheit nur insofern haben, als sie seinem Eigennutz dient, und nicht um ihrer selbst willen; er wird außerdem, gebunden an seine eigenen Bedürfnisse, in seiner Entscheidung unfrei sein. Unübersehbar ist im kategorischen Imperativ der Versuch einer Orientierung am Gemeinwohl, die auf den Einfluß Jean-Jacques Rousseaus und seiner im Contrat Social getroffenen Unterscheidung von volonté de tous (der Summe aller partikularen Interessen) und volonté général (dem allgemeinen Willen) zurückgeht.