Karte 1763

Christian Thomasius

geboren1.1.1655 in Leipzig

gestorben23.9.1728 in Halle/Saale

Jurist und Philosoph

Christian Thomasius wird am 1.1.1655 als Sohn des Philosophen Jakob Thomasius, des Lehrers von Leibniz, geboren. Außerordentlich begabt, beginnt er jung zu studieren, belegt Physik, Mathematik, Geschichte und Philosophie, worin er 1672 zum Magister promoviert wird. Er wendet sich dann dem Jurastudium zu, zunächst in Leipzig, dann in Frankfurt/Oder und beginnt schließlich, unzufrieden mit den Angeboten, selbst juristische Privatvorlesungen in Recht abzuhalten. 1679 wird er in Frankfurt/Oder zum Doktor juris. promoviert. Hineingeraten in den Streit zwischen alten und neuen Lehrmeinungen beschließt Thomasius nur noch seinem eigenen Verstand ohne Vorurteile zu vertrauen. Diesem unorthodoxen und damit innovativem Denken bleibt er sein Leben lang treu. Es setzt ihn auch mancherlei Anfeindungen und Repressalien aus. So wird Thomasius zum kampflustigen Rationalisten und Frühaufklärer.
Seinen Feldzug gegen Scholastik, Orthodoxie, Buchstabenwissen und Geisteserstarrung beginnt er 1684 von Leipzig aus. 1687 hält er dort eine Vorlesung mit dem Titel: „Discurs, welchergestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen soll“. Die Vorlesung auf dem Fundament eines von Pufendorf vertretenen Naturrechts ist in jeder Beziehung revolutionär. Einerseits wegen der Propagierung von Sinnesfreude und Lebenslust und andererseits, weil sie in deutscher Sprache gehalten wird. Trotz heftigen Widerstands seiner Kollegen setzt sich diese Gepflogenheit, allerdings zögerlich, durch. Erst seit 1711 werden Vorlesungen vorwiegend in deutsch abgehalten. Damit eröffnet sich auch für das weniger gebildete Bürgertum der Zugang zum Wissen.
Als Thomasius, der in einer frühen Schrift bereits die Monogamie als naturrechtlich nicht begründbar bezeichnet hatte, in einem Gutachten die reformiert-lutherische Mischehe zwischen fürstlichen Personen als unbedenklich erklärt, wird er der Glaubensschändung bezichtigt und aus dem Amt entlassen. Im Jahr 1790 bekennt sich Thomasius als Alternative zur orthodoxen Religionsauffassung zum von Spener und Francke vertretenem Pietismus, von dem er später wieder abrückt, weil die Pietisten weltliche Freuden verwerfen. Ebenfalls 1790 siedelt Thomasius, bedroht von Verhaftung vom sächsischen Leipzig ins preußische Halle an der Saale über, wo er, ausgerüstet mit kurfürstlichem Privileg zunächst Vorlesungen an der Ritterakademie hält. Später ist er maßgeblich am Aufbau der am 11.7.1694 gegründeten Friedrichs-Universität beteiligt, die sich nicht zuletzt unter seinem Einfluss rasch zur populärsten Reformuniversität Deutschlands profiliert.
Die Orthodoxen warnen erfolglos: „Halam tendis, aut pietista aut atheista mox reversus“ (Wer nach Halle geht, wird binnen kurzem als Pietist oder Atheist zurückkehren). Genau diese Freiheit der Lehre macht Halle für Studenten so anziehend, was sich in beträchtlichen Zahlen ausdrückt. 1500 Studenten jährlich kann keine andere deutsche Hochschule aufweisen. An der von Thomasius gegründeten juristischen Fakultät, dem Kernstück, der neuen Universität, formuliert er 1705 sein philosophisches und rechtswissenschaftliches Credo in seinem Werk „Fundamentum iuris naturae et gentium“. Seine Forderung nach einem Recht ohne religiösen Bezug verknüpft er mit drei Prinzipien:
1. Die Regel des Ehrbaren (Honestum): "Was du wilt/daß andere sich thun sollen/das tue dir selbsten."
2. Die Regel des Wohlanständigen (Decorum): "Was du wilt/daß andere dir thun sollen/das thue du ihnen".
3. Die Regel des Gerechten (Iustum): "Was du dir nicht wilt gethan wissen/das thue du andern auch nicht."
Thomasius ist es auch, der die Abschaffung der Folter und der Hexenprozesse fordert. Aber erst 1740 schafft Friedrich II. in Preußen die Folter ab. Indem Thomasius die Existenz des Teufels in Frage stellt, versucht er den Hexenprozessen die rechtliche Grundlage zu entziehen. Seine Auffassung formuliert der Professor 1701 in der Dissertation „De crimine magiae“, die 1703 in deutsch als „Kurze Lehrsätze von dem Laster der Zauberey“ erscheint. So wird ihm bis heute das Verdienst zugesprochen, dem Hexenwahn in Deutschland ein Ende bereitet zu haben.
Seiner Ehefrau, die er 1680 geheiratet hat, setzt er ein literarisches Denkmal in seiner Schrift „Gespräch vom Simultaneo“. Aus der Ehe gehen ein Sohn und zwei Töchter hervor.
Im Laufe des ersten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts gerät Thomasius zunehmend in Widerstreit mit den abermals erstarrenden pietistischen Auffassungen an der Hallischen Universität. Den Berliner Behörden, die ihn nicht verlieren möchten, gelingt es immer wieder zu schlichten und zu beruhigen. So verleiht der König dem Professor 1709 den Geheimratstitel und beruft ihn 1710 zum Direktor der Universität. Dieses Amt bekleidet Thomasius bis zu seinem Tod am 28.9.1728. Seine letzte Vorlesung hat er am 3.11.1725 gehalten. Der streitbare Philosoph und Jurist ist auf dem Stadtgottesacker in Halle beigesetzt.

Christian Thomasius