Karte 1763

Johann Joachim Winckelmann

geboren9.12.1717 in Stendal

gestorben8.6.1768 in Triest

Kunstgelehrter, Bibliothekar

Winckelmann wuchs als Sohn eines armen Flickschusters in Stendal auf. Die altmärkische Stadt war noch vom Dreißigjährigen Krieg gezeichnet, ihre Einwohnerzahl auf weniger als 3000 dezimiert. Nur unter äußersten Anstrengungen gelang es ihm, die für den Schulbesuch und das Studium in Halle und Jena nötigen Mittel aufzubringen. Ab 1743 arbeitete er auf einer ungeliebten Stelle als Dorfschullehrer in Seehausen, von den Schülern nicht ernst genommen, von den Einheimischen wegen des intimen Verhältnisses zu einem seiner Privatschüler misstrauisch beäugt. Mit 31 Jahren betrachtete Winckelmann sein Leben als gescheitert. Dies änderte sich, als er 1748 von dem sächsischen Grafen Bünau als Bibliothekar auf das Schloss Nöthnitz berufen wurde. In kurzer Zeit erwarb er sich durch die Privatstudien, die ihm nun möglich wurden, einen beachtlichen Ruf als Altertumsforscher. Von nun an arbeitete er konsequent an seiner Karriere. 1754 trat er von der evangelischen in die katholische Kirche über, ein Jahr später ging er als Stipendiat des Dresdener Hofes nach Rom, wo er ab 1757 als Bibliothekar des Kardinalstaatssekretär Archinto tätig war. In den folgenden Jahren stieg er auf zum Vertrauten des Kardinals Albani und wurde zum Präsidenten der päpstlichen Altertumsverwaltung berufen. Auf vier Reisen nach Neapel und Pompeji sammelte er das Material für zahlreiche kunsthistorische und archäologische Schriften, wie etwa die 1764 erschiene „Geschichte der Kunst des Altertums“. Mit beinahe 50 Jahren genoss Winckelmann, von dem es heißt, er sei im Besitz des gesamten historischen kunstgeschichtlich-ästhetischen Wissen seiner Zeit gewesen, Weltruhm; heute gilt er als Begründer der modernen klassischen Archäologie und als bedeutendster Theoretiker des Klassizismus.

Der Historiker Ludwig Curtius sagte über Winckelmann: „Er ist der Vater der deutschen Geschichtswissenschaft, ohne je Historiker im modernen Sinne des Wortes gewesen zu sein.“ Seine Definition der griechischen Klassik als „Edle Einfalt, stille Größe“ übte einen nachhaltigen Einfluss auf ganze Generationen humanistisch gesinnter Gymnasiallehrer aus. „Schönheit um der Schönheit willen“ – seine Konzeption eines „ursprünglichen, nicht durch die römische Tradition veränderten oder verderbten Griechentums“ sah die Antike nicht mehr nur als bloßes dekoratives allegorisches Beiwerk in Opern oder als Architekturzitat. Das gesamte System ästhetischer und kunstgeschichtliche Begriffe geht auf das sprachschöpferische Vermögen Winckelmanns zurück. Er plädierte hier für die größtmögliche Genauigkeit; nur was beschrieben sei, sei tatsächlich gesehen. In diesem Ringen um den angemessenen sprachlichen Ausdruck zeigt sich auch seine erzieherische Absicht, die besonders in dem Werk „Die Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst, und dem Unterrichte in derselben“ (1763) spürbar wird.

„Die Statue des Apoll von Belvedere ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums, welche der Zerstörung entgangen sind.“ Winckelmanns Huldigung ist ohne den homoerotischen Reiz, den die griechische Klassik auf ihn ausübte, kaum verständlich. In ähnlich schwärmerischen Worten äußerte er sich in Briefen an seinen früheren Geliebten Berendis über einen 14-jährigen römischen Kastraten oder über den 16-jährigen Niccolo Castellani.

Der Tod Winckelmanns wirft auch heute noch Rätsel auf. Auf der Höhe seines Ruhmes plante er, 49-jährig, eine Reise über die Alpen anzutreten, um seine Heimat und seine Freunde wiederzusehen. Nach nervösen Beschwerden kehrte er aber bereits in Bayern um, reiste nach Wien, wo er von Maria Theresia empfangen wurde, dann nach Triest. Dort schloss er die Bekanntschaft mit dem im gleichen Hotel wohnenden 38-jährigen Francesco Arcangeli, der ihn am 8. Juni 1767 in seinem Zimmer überfiel und ihn mit Messerstichen so schwer verletzte, dass Winckelmann sechs Stunden später starb. Der inkognito reisende Gelehrte erhielt ein Armenbegräbnis, sein Mörder endete auf dem Rad.

Johann Joachim Winckelmann