1909
Der Plan von Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow, die gegenüber den Einzelstaaten schwach gebliebenen Reichsfinanzen zu reformieren, führt zu seinem Sturz; neuer Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident wird Theobald von Bethmann-Hollweg; er bekräftigt bei seinem ersten Auslandsbesuch in Wien die "Nibelungentreue" des Deutschen Reichs gegenüber Österreich-Ungarn.
1909
Der Staatssekretär des Marineamts, Alfred von Tirpitz, gibt seine Pläne zur Flottenrüstung bekannt. Die Reichsmarine soll bis 1912 dreizehn moderne Panzerkreuzer, sogenannte Dreadnoughts und Invincibles, erhalten. Ein neues Reichsbankgesetz wird vom Reichstag angenommen. Banknoten werden damit als gesetzliche Zahlungsmittel anerkannt. Vorher war niemand verpflichtet, Papiergeld in Zahlung zu nehmen.
1909
Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich unterzeichnen in Wien ein Abkommen: Das Osmanische Reich verzichtet auf seine Ansprüche auf Bosnien und Herzegowina und erhält dafür von Österreich-Ungarn Gebiete an der Grenze zu Serbien. In Konstantinopel (heute: Istanbul) unterzeichnen Vertreter der Türkei, Rußlands, Großbritanniens und Frankreichs ein Protokoll über die staatliche Unabhängigkeit Bulgariens.
1909
Die Regierungen des Deutschen Reichs und Frankreichs finden in Berlin einen Kompromiß zur Beilegung der Marokko-Krise: Deutschland erkennt die Vormachtstellung Frankreichs in Marokko an, erhält aber die Zusicherung wirtschaftlicher Gleichberechtigung in der Region. Marokko bleibt formell ein souveräner Staat.
1909
Im Reichstag fordern Abgeordnete der Zentrumspartei die Abschaffung der "schwarzen Listen", auf denen Arbeitgeber die Namen mißliebiger Arbeiter notieren. Damit soll den Arbeitern die Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses erschwert werden. Der Antrag des Zentrums wird abgelehnt.
1909
In Hamburg wird der 9. Internationale Zionistenkongreß eröffnet. Im Mittelpunkt der Diskussionen der über 600 Teilnehmer aus aller Welt steht die Forderung nach einem unabhängigen jüdischen Staat in Palästina.
1909
In Berlin wird der "Hansabund zur Vertretung der Interessen von Handel, Gewerbe und Industrie" gegründet. Der Hansabund tritt vor allem für freien Wettbewerb auf den internationalen Märkten ein. Die erste Fluggesellschaft der Welt, die "Deutsche Luftschiffahrt-Aktiengesellschaft" (Delag), wird in Frankfurt am Main gegründet.
1909
In Berlin wird mit großem Aufwand der 50. Geburtstag Kaiser Wilhelms II. und das 100jährige Bestehen des preußischen Kriegsministeriums gefeiert.
1909
Peter Behrens baut die Turbinen-Montagehalle der AEG in Berlin; Uraufführung von Richard Strauss' »Elektra« in Berlin.
1910
Trotz internationaler Proteste beschließt die russische Duma die Aufhebung der Autonomie Finnlands. Japan erklärt das Kaiserreich Korea unter dem Namen Chosen zum japanischen Generalgouvernement. Damit findet die seit 30 Jahren andauernde schrittweise Annexion Koreas ihren formellen Abschluß. In Portugal stürzen Armee und Flotte mit der Bevölkerung von Lissabon König Emanuel II. (1889-1932) und proklamieren die Republik. Durch den Zusammenschluß der britischen Kolonien Kapkolonie, Natal, Oranjefreistaat und Transvaal wird die Südafrikanische Union gegründet.
1910
Das Einlaufen französischer Kriegsschiffe in den marokkanischen Hafen Agadir bildet den Auftakt einer neuen "Marokko-Krise" zwischen Frankreich und Deutschland.
1910
Im Deutschen Reich werden auf Betreiben des Arbeitgeberbundes 160.000 Bauarbeiter ausgesperrt. Sie fordern lokale Tarifverträge, Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung. In Hamburg Streik von 10.000 Werftarbeitern um höhere Löhne, dem sich auch ein Großteil der Belegschaften der Bremer Werften anschließt. Der Ausstand dauert bis Oktober und endet mit einem Teilerfolg der Streikenden. Im Berliner Arbeiterbezirk Moabit kommt es im Zusammenhang mit einem Lohnstreik von Kohlenarbeitern zu mehrtägigen Straßenschlachten mit der Polizei, die sich schützend vor Streikbrecher gestellt hatte. Der Deutsche Juristentag in Danzig lehnt einen Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe mit 50 gegen 24 Stimmen ab.
1910
Durch den Zusammenschluß der Freisinnigen Volkspartei, der Freisinnigen Vereinigung und der Deutschen Volkspartei Deutschen Volkspartei (DVP) entsteht in Berlin die Fortschrittliche Volkspartei. Zu den führenden Köpfen der neuen Partei, die sich zu den traditionellen Forderungen des deutschen Liberalismus bekennt, gehören Friedrich Naumann, Friedrich von Payer (1847-1931) und Otto Fischbeck.
1910
Das dritte deutsche Marinegeschwader wird gebildet. Laut Flottengesetz soll die Hochseeflotte bis 1917 vier Geschwader umfassen. Im Reichstag beginnt die Debatte um das neue "Friedenspräsenzgesetz", das den Aufbau eines Eisenbahn-, eines Telegraphenbataillons und dreier Luftschiffkompanien vorsieht.
1910
Im Preußischen Landtag wird die 1908 angekündigte Reform des Dreiklassenwahlrecht vorgestellt. Der Wahlgesetzentwurf hält am Dreiklassenwahlrecht und an der alten Wahlkreiseinteilung fest, lediglich Wählern mit Hochschulabschluß, ehemaligen Offizieren und "Kulturträgern" soll das Aufrücken in eine höhere Wahlrechtsklasse ermöglicht werden. Frauen sollen weiterhin von Wahlen ausgeschlossen bleiben. In zahlreichen Städten Preußens demonstrieren Hunderttausende gegen die Wahlrechtsreform. Es kommt zu Zusammenstößen mit der Polizei.