Karte 1866

Kulturkampf

Die nach der Reichsgründung 1870/71 einsetzende und durch den Reichskanzler Otto von Bismarck herbeigeführte Auseinandersetzung um die Kompetenzen von Staat und Kirche, die sich vor allem gegen die Katholiken richtete. Der Begriff wurde 1873 von dem liberalen Mediziner Rudolf Virchow in die Diskussion eingeführt, der damit einen "Kampf für die Kultur" gegen klerikale Tendenzen meinte. Bismarck selbst sah in den Katholiken und der katholischen Zentrumspartei eine reichsfeindliche Opposition, die der kleindeutschen Lösung (ohne das katholische Österreich) und der ferneren Aussicht einer protestantischen Staatsreligion ablehnend gegenüber standen. Seine erste Kampfhandlung bestand 1871 in der Aufhebung der seit 1841 bestehenden katholischen Abteilung im preußischen Kultusministerium, es folgten mehrere Reichsgesetze, wodurch sich der Konflikt von Preußen auf das Deutsche Reich ausdehnte. Der Kanzelparagraph von 1871 verbot eine den öffentlichen Frieden störende Erörterung staatlicher Angelegenheiten durch Geistliche in Ausübung ihres Amtes unter Androhung von Gefängnisstrafen. Es folgten 1872 das Schulaufsichtsgesetz und der Verbot des Jesuitenordens. Wiederum nur Preußen betrafen 1873 die sogenannten Maigesetze, durch die das staatliche Aufsichtsrecht verschärft, die kirchliche Disziplinargewalt eingeengt und dem Staat ein Einspruchsrecht bei der Einstellung von Geistlichen eingeräumt wurde; ausserdem die Einführung der Zivilehe. Diese Unterdrückung stärkte das katholische Selbstbewußtsein sehr, das Zentrum konnte seine Wählerschaft 1873 in Preußen und 1874 im Reich verdoppeln. 1875 erklärte Papst Pius IX. in seiner Enzyklika "Quod nunquam" an die Adresse der preußischen Erzbischöfe und Bischöfe: "Was wir niemals erwartet haben, ist eingetreten" (Quod nunquam eventurum arbitrati sumus, animo reputantes ea ...), nämlich eine völlige Zerstörung der kirchlichen Rechte und Freiheiten, und das gerade in Preußen, "wo die Kirche Gottes einst Ruhe und Frieden genoß." Er forderte die Kirchenvertreter auf, sich den neu erlassenen Gesetzen zu verweigern und nach dem Vorbild der Leidensfähigkeit Jesu die strafrechtlichen Folgen geduldig auf sich zu nehmen, andernfalls sie für die Kirche als verloren gelten müssen. Bismarcks Antwort auf die Enzyklika war noch im selben Jahr die Aufhebung der Befreiung der Geistlichen vom Wehrdienst, der Verbot aller ausser den reinen Krankenpfleger-Orden, die Beschlagnahmung kirchlicher Vermögen; das Sperrgesetz, im Volksmund auch Brotkorbgesetz genannt, das eine Streichung aller staatlichen Leistungen für diejenigen katholischen Geistlichen vorsah, die sich weigerten, ein Gehorsamkeitsversprechen gegenüber dem preußischen Staat abzugeben. 24 von 4.000 Geistlichen in Preußen unterschrieben die Erklärung und wurden dafür von der Kirche exkommuniziert, so dass auch sie mit allen anderen ihren Job und ihre Existenzgrundlage verloren. 1876 waren alle preußischen Bischöfe verhaftet oder ins Ausland geflohen und zahlreiche Geistliche zu harten Geld- oder Gefängnisstrafen verurteilt. Mit der Verschärfung des Kanzelparagraphen und ergänzenden Bestimmungen über die Verwaltung des Kirchenvermögens endete 1878 die Kulturkampfgesetzgebung zu einer Zeit, als bereits der neue Feind in Gestalt der Sozialisten erkannt war und bekämpft werden musste. Nun überwog das Gefühl, im Parlament vielleicht doch nicht ganz ohne Zentrum auskommen zu können, was ab 1879 eine vorsichtige Annäherung möglich machte. Bis 1891 waren fast alle Kulturkampfgesetze wieder rückgängig gemacht. Überdauert haben Zivilehe, staatliche Schulaufsicht, Verbot des Jesuitenordens (bis 1917) und der Kanzelparagraph, der in der BRD erst 1953 aufgehoben wurde.

Das Ende des Kulturkampfes

Das Ende des Kulturkampfes