Karte 1803
Rudolf Virchow Heinrich Heine Gerhart Hauptmann Käthe Kollwitz

4. Juni 1844    Der Hungeraufstand der schlesischen Weber wird blutig niedergeschlagen

Am 4. Juni 1844 versammeln sich um zwei Uhr nachmittags im schlesischen Peterswaldau eine große Anzahl Weber. Ein Protestzug entsteht, man zieht vor die Gebäude des Unternehmers Zwanziger, wo die Demonstranten die Erhöhung ihres Lohns fordern. Respektlos, spöttisch und drohend lehnen die Arbeitgebervertreter jede Verhandlung ab. Die angestaute Wut der Weber kommt nun vollends zum Ausbruch. Sie erstürmen die Gebäude, zerstören die gesamte Einrichtung, zerreißen alle Rechnungsbücher und Wertpapiere und zerschlagen die Maschinen. Zwanziger flieht mit seiner Familie Hals über Kopf nach Breslau. Die Behörden in Reichenbach veranlassen das Eingreifen von preußischem Militär.

Die abkommandierte Einheit kommt am 5. Juni nach Langenbielau, als die Weber diesmal vor dem Haus des Unternehmers Dierig höhere Löhne fordern. Der Kommandeur lässt auf die Menge schießen. Elf Menschen, darunter Frauen und Kinder, sinken tot und 24 schwerverwundet zu Boden. Verbittert und wutentbrannt leisten die Arbeiter mit Knüppeln und Steinen Widerstand, die Soldaten ziehen sich, auf Verstärkung wartend, zurück.

Vier Kompanien mit vier Geschützen treffen in der Nacht zum 6. Juni aus Schweidnitz ein und besetzen in den frühen Morgenstunden, noch durch Kavallerie verstärkt, Peterswaldau und Langenbielau. Weitere Truppen ziehen in die umliegenden Weberdörfer ein. Über 100 Weber werden verhaftet und dem Breslauer Oberlandesgericht übergeben. Insgesamt werden über 80 Angeklagte 203 Jahre Zuchthaus, 90 Jahre Festungshaft und 330 Peitschenhiebe verhängt.

Heinrich Heine setzt den schlesischen Webern mit seinem berühmten Gedicht ein Denkmal:

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben, wir weben!

Die schlesischen Weber sind Heimarbeiter, die ihre Webstühle im Handbetrieb bedienen. Sie sind abhängig von ihren Arbeitgebern, den Verlegern, die ihnen die Rohstoffe liefern, um anschließend die fertigen Waren abzunehmen. Zum Verhängnis wird den schlesischen Webern die Mechanisierung der Webstühle, die andernorts, vor allem in England, zu erheblich preisgünstigerer Produktion führt. In Schlesien können nun auch Kinderarbeit und die Ausdehnung der täglichen Arbeitszeit den Lohnverfall nicht mehr ausgleichen. Die mit ihren Familien im Elend lebenden Weber schließen sich nun zusammen, um höhere Löhne zu fordern.

Kein Geringerer als der Arzt und liberale Sozialpolitiker Rudolf Virchow stellt die Lage der Landbevölkerung Oberschlesiens in ihren Gesamtzusammenhang:

„Mehr, als in irgend einem Teile der östlichen Provinzen Preußens, findet sich in Oberschlesien eine Aristokratie mit ungeheurem Grundbesitz, und mehr als in irgend einem Teile von Preußen überhaupt, hält sich diese Aristokratie fern von ihren Besitzungen auf, dem Beispiel des irischen Adels folgend. In den Hauptstädten (Breslau, Wien, Berlin usw.) oder außerhalb Deutschlands verschwendet ein großer Teil derselben ungeheure Geldsummen, die fort und fort dem Lande entzogen werden. Woher aber soll eine Entwicklung des Wohlstandes in einem Lande kommen, welches immer nur den Ertrag seiner Tätigkeit nach außen abgibt?“

Ändern kann auch Virchow zunächst nichts, doch gewinnen die Vorgänge in Schlesien am Vorabend der Revolution von 1848 bereits überregionale Bedeutung.

Der Dramatiker Gerhart Hauptmann schreibt ein halbes Jahrhundert später das Theaterstück „Die Weber“, in dem er die historischen Vorgänge dramatisiert. Die erste öffentliche Aufführung findet am 25. September 1894 im Deutschen Theater Berlin statt.

Den wilhelminischen Zensurbehörden ist das Stück ein Dorn im Auge. Diese versuchen, die Aufführung der „Weber“ zu verhindern unter der Begründung, die im Drama enthaltenen Schilderungen seien dazu angetan, Klassenhass zu erzeugen und könnten zu „einem Anziehungspunkt für den zu Demonstationen geneigten Teil der Bevölkerung Berlins“ werden. Nach langen gerichtlichen Auseinandersetzungen wurde ein Verbot der „Weber“ durch das Königliche Preußische Oberverwaltungsgericht wieder aufgehoben.
Knapp 50 Jahre später wird die junge Käthe Kollwitz mit ihrem Grafikzyklus "Der Weberaufstand" berühmt.

Plakat zur Aufführung der "Weber" im Schauspielhaus

Der Weberzug

Sturm

Die schlesischen Weber